Die Renaissance der Schreibkultur
„Schreibkultur als Entschleunigung im Alltag“ – diese Headline des Newsletters von Bethge, einem Fachgeschäft für besondere und qualitativ hochwertige Schreibwaren, berührt und weckt Sehnsüchte. Berührung lässt Gedanken entstehen. Was hat die Schreibkultur mit Entschleunigung zu tun?
Unsere Kommunikation ist schnell geworden. Eine SMS, eine Mail, eine Info abgelegt in ein digitales Notizbuch und schnell noch eine Sprachnachricht: Alles geschieht in Hochgeschwindigkeit. Ein Brief braucht mindestens einen Tag Zeit, um den Empfänger zu erreichen. Die digitalen Kommunikationswege erleichtern die Arbeit und verkürzen die Zeit.
Die Wahrnehmung über die Hände
Wer jedoch den ganzen Tag in der digitalen Welt verbringt, sehnt sich nach Haptik. Die Wahrnehmung über die Hände liegt nur bei sieben Prozent. Doch alles, was der Mensch in Händen hält, spricht aufgrund der Evolution den inneren Cortex des Gehirns an. Dieser Bereich ist zuständig für das Erinnerungsvermögen und das Langzeitgedächtnis. Menschen wollen berühren und berührt werden: Papier löst haptisches Erleben aus. Den Briefkasten öffnen, einen wertiges Briefkuvert mit handgeschriebener Empfängeranschrift in Händen halten – das berührt ihren Empfänger, das schafft keine E-Mail.
Parallelwelten
Es geht nicht ums „entweder oder“, sondern ums „sowohl als auch“. Heute mit der Hand zu schreiben – sei es einen Brief, eine Postkarten, Notizen oder Tagebuch – ist etwas Besonderes. Es wird zelebriert, wofür man auch bereit ist, vier oder fünf Euro auszugeben: für besondere Karten, die dann mit der Hand beschrieben werden.
Die Tempel der Schreibkultur
Vorbei ist die Zeit des Schreibwarenladens ums Eck, bei dem es von der Zeitung bis zu all möglichen Schreibbedarf alles zu kaufen gibt.
Edle Papeterien, in den es hochwertiges Papiere und edelste Füllhalter aus aller Welt angepriesen werden, erfreuen sich nicht nur zur Weihnachtszeit einet Fangemeinde. Hier wird bestaunt, betastet, geblättert, werden Füllfederhalter ausprobiert.Und weil der Kauf in einer Papeterie stattfindet, wird das Einpacken des Notizbuches, der Stifte oder des Schreibtischaccessoires ebenfalls zelebriert.
Doch was hat die wiederentdeckte Schreibkultur mit Entschleunigung zu tun?
Laut Wikipedia steht Entschleunigung dafür, wieder langsamer werden oder gar zur Langsamkeit zurückzukehren. Beim bewussten Schreiben mit der Hand entsteht eine Sorgsamkeit und Achtsamkeit. Denn das Löschen vom handgeschriebenen Wort lässt sich nicht ohne weiteres mit einer Delete-Taste erledigen. Es wird inne gehalten, vielleicht durchgestrichen oder versucht, Worte zu überschreiben. Somit ist die Stelle gezeichnet. Jedes Wort wird überlegt.
Bereits das Aufziehen von Tinte für den Füller lässt keine Hektik zu, vielleicht sogar mit der bewussten Wahl der Tintenfarbe. Kann man einen Liebesbrief mit schwarzer Tinte schreiben oder doch lieber mit grüner? Lässt sich eine Einladung für einen lustigen Sommerabend am besten mit fröhlicher, oranger Tinte aussprechen? Welches Papier wählt man, dem Anlass entsprechend? Das Bierpapier von Gmund eignet sich für ein Treffen im Biergarten, den Brief für einen Gartenfreund mit Papier verzieren geprägte Blumenranken. Bei all diesen Gedanken steht die Zeit still. Achtsamkeit ist, voll und ganz im Moment aufzugehen. Dadurch entsteht Stille und bewusstes Handeln – Entschleunigung.